4- Familienausflug

Als sie endlich aus unserer Wohnung verschwunden war, setzte sich mein Meister auf die Couch. Dieser Besuch kam mir vor wie eine Ewigkeit. Meister erlaubte mir, ihm Gesellschaft zu leisten.

Ich genoss jede Liebkosung meines Fells. Ich dachte an seine starken Hände, die zuvor noch dieses Weib berührt hatten und kniff die Augen zusammen. Ich würde diesen ekelhaften Geruch sicher noch Tage an mir riechen können. Aber das war jetzt Nebensache. Ich würde mich später einfach einer ausgiebigen Fellreinigung unterziehen. Tatsächlich wurden die Augenblicke, in denen wir gemeinsam Zeit verbrachten, immer seltener. Seine Finger suchten nach meinem Fell und erreichten meine Lieblingsstelle am Ohr. Leise und rhythmisch hörte ich meinem eigenen Schnurren zu. “Was hältst du davon?” begann er, “Wenn ich dich mit ihren Katzen spielen lasse?“ Mein Herz setzte aus. „Du bist nicht wirklich sozialisiert. Immer allein, egal ob auf der Straße oder hier. Vielleicht hat sie recht und es würde dir guttun, mal unter Artgenossen zu kommen.”

Seine Worte waren sanft und behutsam, und auch wenn ich diese Seite meines Meisters liebte, wusste ich, dass die Gefahr, die von ihm ausging, nie ganz verflog.

Aufgeregt zuckte mein Schwanz von rechts nach links. Was war das? Artgenossen? Ich konnte mir darunter nichts vorstellen. Wieso sollte es so wichtig sein, mit anderen meiner Art Zeit zu verbringen? Ich war zufrieden mit dem, was ich hatte. Und noch zufriedener wäre ich, wenn diese Schlampe mit ihren Fellknäulen verschwinden würde. Mein Meister gab mir alles, was ich brauchte, und mir war es sehr recht, die Wohnung ganz allein für mich zu haben.  Was ich jedoch vermisste, war die Jagd. Es war schon viel zu lange her. Wieso waren wir nicht mehr auf der Jagd gewesen? Seit wir umgezogen sind gab es nichts anderes mehr als diesen billigen Fraß aus der Dose. Seither träume ich noch von dem versprochenem Stück [NM1] , obwohl ich mich jetzt auch mit einem weniger saftigem Stück zufriedengeben würde.

 

Ich rieb meinen Kopf an seinem Kinn und begann seine Brust zu kneten. Das Vibrieren meines Schnurrens ging tief durch meinen Körper. Es beruhigte nicht nur mich, wie ich immer wieder feststellte, sondern auch meinen Meister. Er genoss es, mich entspannt zu sehen und gleichwohl freute ich mich, dass ich seinen immer aufgeregten Geist zum Stillstand bringen konnte.

Ruhe und Zufriedenheit breitete sich zwischen uns aus. Genauso bevorzugte er es. Mein Meister mochte es lieber, wenn ich mich still und unsichtbar verhielt. Nicht, dass es mich störte, aber hier und da konnte plötzliche Bewegungen einen Stimmungswechsel hervorrufen. Das letzte Mal als er erschrak, trat er mich und ich hatte tagelang schmerzen am Bauch. Ich war selbst schuld gewesen, keine Frage. Ich kannte ihn gut genug, um es besser zu wissen. Manchmal konnte ich richtig dumm sein. Aber solange ich nicht zu laut mauzte, oder mich anderweitig zu sehr bemerkbar machte, durfte ich bleiben, wo ich war. Und dafür war ich dankbar.

 

“Wir sollten mal wieder jagen gehen.“ Ich hob meinen Kopf und sah zu ihm hoch. Ist es möglich? Konnte er meine Gedanken lesen? Tief atmete er aus und eine Mischung aus Nikotin und Rotwein kroch mir in die Nase „Ein bisschen Zeit miteinander verbringen, was meinst du?” schloss er den Satz und ließ seinen Blick auf mir ruhen. Behutsam fuhr er mit den Spitzen seiner Finger unter meinen Hals. Er kraulte mich, rauf und runter. Genau dort, wo er schon so oft zugepackt hatte. Es war merkwürdig. Normalerweise mochte ich das nicht, aber mein Gefühl sagte mir das Gegenteil. “Hast du keine Lust?” fragte er verwundert und legte den Kopf etwas zur Seite, als versuchte er zu verstehen, was in meinem Kopf vor sich ging. Langsam ließ ich meinen Schweif über seinen Oberschenkel streichen, um ihm zu signalisieren, dass ich durchaus Interesse daran hätte, mit ihm auf die Jagd zu gehen. Ich vermisste es so sehr. Das Schleichen und Kriechen. Das Verstecken und Locken. Viel zu lange hatte ich schon auf dieses Abendteuer verzichtet. Das Adrenalin das diese Ausflüge mit sich brachte. Es war ein köstliches Gefühl.

Ich kuschelte mich dicht an ihn. Mein Herz klopfte wie wild vor Freude. In diesem Moment fürchtete ich seine Unberechenbarkeit nicht. Ich war mir so sicher, dass dieser einer der wenigen Momente war, in denen er seine Dominanz nicht zeigen würde.

 

Er setzte sich auf und schob mich von seinem Schoß. Verwirrt sah ich ihn an, hatte ich was falsch gemacht? „Wir sollten ein bisschen raus gehen. Die Gegend erkunden. Neue Plätze finden.“ Überlegte er halblaut. „Würde dir das Gefallen, Saturn?” sprach er weiter und stand auf.

„Ich bin so hungrig, mein Lieber. So durstig.” Mit der Hand fuhr er sich durchs Haar und fixierte meinen Blick mit seinen düsteren Augen.

Es gab nichts, dass ich kannte, was ihm so wichtig war wie sein eigenes Wohlbefinden. Das war mir bewusst. Auch für mich gab es nichts Wichtigeres als ihn glücklich zu machen. Ich war so dankbar dafür, ein Teil in seinem Leben sein zu dürfen und nun würden wir sogar wieder zusammen auf die Jagd gehen. Jetzt gerade, in diesem Moment, war ich einfach Glücklich.

 

Es war bereits vor einer Weile dunkel geworden. Behutsam hielt ich mich an seiner schwarzen Jacke fest, während er mich durch die kühle Nachtluft zum Wagen trug.

Das tat er immer, wenn es für uns wieder in den Wald ging. Auf der Suche nach einer neuen Beute, die er mit meiner Hilfe in seine Fänge trieb.

Ich mochte das Geschirr nicht, dass er mir zu diesem Zwecke anzog. Es zwickte furchtbar und ich fühlte mich wie einer dieser dummen Köter, so wie er mich an der Leine führte. Auf der anderen Seite gab es doch auch den ein oder anderen Vorteil. Aus irgendeinem Grund finden Menschen eine Katze, die gehorsam an der Leine lief, mehr als niedlich. Und sie machten auch keinen Hehl daraus. Vor allem die Weibchen, die mit ihren piepsigen Stimmen in die Hocke gingen und mich betatschten. Nicht, dass ich mich beklagen wollte. Ihre weichen Hände, die nach Blumen und anderen Kosmetika rochen, fühlten sich herrlich in meinem Fell an. Und ich liebte es, wenn sie mich mit ihren langen Fingernägeln hinter den Ohren kraulten. Ihre Berührungen waren so ganz anders als die von meinem Meister.  Als fürchteten sie, dass sie mich zerbrechen könnten, würden sie nur zu viel Druck ausüben.

Und mein Meister? Der nutzte die Gelegenheit, um sie genau zu betrachten. Ich konnte seine eindringlichen Blicke spüren, als er ihre Körper beäugte. Abschätzte, wog und maß.

Ich konnte riechen, wie der Hunger in ihm wuchs. Seine Aufregung sehen, wenn er sich ihren Geschmack vorstellte. Der Drang sie zu packen und zu beißen, ihnen das Fleisch von den Rippen zu reißen. Nicht jedes Weibchen hatte diesen Effekt auf ihn. Oft vergingen Stunden, bis er sich seine Beute auserkoren hatte. Ab und zu hatten wir kein Glück gehabt und sind ohne Abendessen wieder zurück nach Hause. Hoffentlich würde dieser Ausflug erfolgreich werden.

 

Er setzte mich in das Auto auf den Beifahrersitz. Aufgeregt stellte ich mich auf die Hinterpfoten und blickte aus dem Fenster. Ich sah ein Licht nach dem anderen an uns vorbeiziehen, während wir aus der Stadt fuhren. Die Zeit verging und nach einer Weile rollte ich mich auf meinem Sitz zusammen. Wie weit würde er noch fahren? Ungeduldig schlug ich mit meinem Schwanz immer wieder auf das dunkle Leder des Sitzes. Mit dem Blick auf die Straße gerichtet, streckte er seine Hand nach mir aus und begann mich am Ohr zu kraulen.

 

„Dieses Mal müssen wir vorsichtiger sein, Saturn. Vor allem müssen wir darauf achten, dass wir nicht mehr so nah an unserem Zuhause jagen.“ Seine Stimme klang streng und ließ keinen Raum für Wiederworte. Fragend sah ich zu ihm hoch. „Sie hätten uns letztes Mal fast geschnappt.” flüsterte er beunruhigt mehr zu sich selbst als zu mir. Mit leichtem Druck strich er mir über den Rücken.

Mit einem leisen Maunzen signalisierte ich ihm, dass ich zuhörte. Ich wollte ihm nahe sein. Sollte ich es wagen und auf seinen Schoß klettern? Ich versuchte zu erkennen in welcher Stimmung er war. Wenn ich diese Situation falsch einschätzte, könnte es sein, dass mich wieder eine Strafe erwartete. Behutsam und so vorsichtig wie möglich wagte ich mich vor und kletterte fast lautlos zu ihm hinüber. Ich hielt inne und zuckte zusammen, als er mit seiner Hand auf meinem Rücken verweilte. Erleichtert atmete ich auf und rieb meinen Kopf an seiner Jeans. Ich konnte spüren, wie sich die Muskeln seiner Beine bewegten, wenn er die verschiedenen Pedale des Wagens benutzte. Mich interessierte nicht mehr, wo wir hinfuhren. Ich hätte so noch viele weitere Stunden verweilen können.

 

 “Wir sind da,” sagte er und holte mich in die Realität zurück. „Mal sehen, ob wir an diesem Ort fündig werden.“ Mit einem Grinsen im Gesicht öffnete er die Tür des Wagens und ließ mich raus. Ein Schauer durchfuhr mich, als ich aus der wohligen Wärme in die kühle Nacht trat. Aufgeregt begutachtete ich die neue Umgebung. Wir parkten auf einem Schotterparkplatz. Links und rechts von uns parkten weitere Autos, die im selben trostlosen Licht der Straßenbeleuchtung standen.

Ich konnte das leise Plätschern von Wasser hören. Es muss ganz in der Nähe einen Fluss geben. „Komm Saturn, wir gehen ein Stück.“  Die spitzen Steine des Parkplatzes drückten mir ins Fleisch. Darauf bedacht ihm nicht zwischen die Füße zu laufen, folgte ich meinen Meister auf Schritt und Tritt.  Wir näherten uns einer belebten Promenade die unmittelbar an einen See angrenzte. Wasser! Ich wusste es! Musik und Gelächter erfüllten die Nacht. Es war ein angenehmer Abend und die Menschen saßen in Gruppen zusammen, unterhielten sich, tranken und aßen. Hier und da hörte ich gerührte Rufe oder leises seufzen, wenn mein Meister mit mir an der Leine an ihnen vorbeilief. Ich wusste genau, worauf mein Meister achtete. Was ihm gefiel. Wonach er seine Beute auswählte. Runde Schenkel und kräftige Waden. Dazu eine pralle Brust und ein weicher Bauch. Ihm war es egal, ob das Haar auf ihrem Kopf lang oder kurz war. Ob ihre Augen hell oder dunkel waren. Ob sie klein oder groß sind. Es war jedoch wichtig, dass ihre Glieder voller Fleisch waren.

Somit suchte ich auf der Straße, zwischen all den Menschen, ein Weibchen, dass seinem Geschmack gefallen könnte. Wenn ich es sein würde, der eine solche fand, würde er mich mit einem besonders großen Stück belohnen. Mir war unklar, was er daran als schön empfand. Doch wusste ich, dass es ihn glücklich machen würde. Und wenn er glücklich war, war ich es auch. 

Aber hier war die Sammlung an Weibchen eher enttäuschend.

Mir gefiel keines der Weibchen. Sie waren alle zu dünn, zu schmal, zu zerbrechlich. Als hatten sie schon seit vielen Wochen nicht mehr gegessen. Auch mein Meister schien verstimmt zu sein.

Die Aufregung, die er zu Beginn unseres kleinen Ausflugs versprüht hatte, ebbte von Minute zu Minute mehr ab, ehe ich nur noch bittere Frustration und Zorn riechen konnte. Mir war klar, dass ich besser daran tat, nicht stehenzubleiben und ruhig zu sein.

Die Suche musste weitergehen. Ein Abend, der so schön anfing, sollte nicht in einer Niederlage enden müssen. Würden wir heute keine geeignete Beute finden, würde ich es sicher ausbaden müssen. Ich war deprimiert. Mit hängenden Ohren huschte mein Blick von einer Seite zur anderen als ich sie sah. Erleichterung überkam mich. Tief atmete ich ein und wieder aus. Da stand sie.

Ein pralles, saftiges Weibchen. Ihre Brust wogte mit jedem Schritt. Ihre Schenkel erzitterten mit jeder ihrer Bewegung. Prompt blieb ich stehen, die Nase in Richtung unseres potenziellen Abendessens gezeigt. Ein kurzer Blick zu meinem Meister reichte, um zu wissen, dass meine Suche ein Erfolg war. Er fixierte sie mit seinen Blicken. Sein Gesicht war leicht gerötet und seine Augen leuchteten vor Begierde. In langsamen Schritten kam sie uns entgegen. Ihren Blick auf das Leuchten in ihrer Hand fixiert. Sie sah uns nicht. Sah nicht in welches Unglück sie gleich stürzen würde. Fragend sah ich zu meinem Meister hoch, der mit einem Nicken in ihre Richtung den Startschuss gab. Eilig und soweit es die Leine zu ließ, näherte ich mich dem Weibchen.  „Mach langsam Saturn.“  Rief mein Meister mit gespielter Strenge und setzte sein Lächeln auf, dass bis jetzt noch jedes Weibchen beeindruckt hatte. Sie hob ihren Blick von dem Ding in ihrer Hand und blinzelte in die Nacht. Zuerst sah sie Ihn, dann mich.

Ich konnte ihre Aufregung riechen, diese bittere Süße, der an ihrem fleischigen Körper wie Parfum klebte.  Eine verräterische Röte kroch ihr über die Wangen und ich wusste, dass wir gewonnen hatten. Bedacht darauf, extra zutraulich zu wirken, rieb ich mich an ihren saftigen Waden entlang und schurrte so laut ich konnte. „Na wer bist du denn?” fragte sie und ging direkt vor mir in die Hocke. Ihre Finger berührten mich sanft, strichen mir über die Ohren, dass sie unangenehm kitzelten. Ich schüttelte mich und sah erwartungsvoll zu meinem Meister, der nur noch ein paar Schritte entfernt war.  „Saturn, benimm dich,” hörte ich die lachende Stimme meines Meisters, die von dem gefährlichen Funkeln in seinen Augen ablenken sollte.

„Saturn heißt du also? Was für ein außergewöhnlicher Name,” erwiderte sie und streckte erneut ihre Hand nach mir aus, was ich nur mit einem müden Blick kommentierte. Sie war uns bereits jetzt schon in die Falle gegangen, so wie all die anderen dummen Viecher auch.

Mein Meister würde ein leichtes Spiel mit ihr haben, das konnte ich spüren. Sie war bereit. Willig. Wort wörtlich ein gefundenes Fressen für uns. „Tut mir leid, wenn er aufdringlich ist,“ begann mein Meister gespielt Schüchtern, „er ist ein sehr liebebedürftiger Kater,” schloss er mit einem Augenzwinkern. Sie schien zu verstehen und richtete sich langsam auf. „Ist das so?” Fragte sie spielerisch und hob beide Augenbrauen. „Ja.“ Erwiderte er mit festem Ton und sah dem jungen Weibchen eindringlich in die Augen. Sie lächelte. Sie hatte verloren.