3- (Hass)liebe

Menschen sind oft davon überzeugt, dass wir Katzen mehrere Wochen brauchen, um uns an neue Orte zu gewöhnen. Dies führt zu lästigen Eingewöhnungsmethoden, in denen wir von Raum zu Raum getragen werden, in der Hoffnung, dass wir uns schnell akklimatisieren. Das soll dazu beitragen, dass wir unser neues Zuhause nicht markieren. Lächerlich. Diese unausgesprochene Bitte, die Möbel nicht zu zerkratzen und die Blumentöpfe nicht von der Fensterbank zu schmeißen, schwebt in den meisten Fällen für Wochen im Raum. Ich hatte nie solche Probleme.

 

Das Markieren wurde mir mit Tritten abgewöhnt. Der erste Kratzer, den mein Meister entdeckte, wurde mit einem eiskalten Bad bestraft. Beim zweiten Kratzer tat er mir weh. Seither fehlen mir die Krallen zum Zerkratzen weiterer Gegenstände. Meister hatte sich schon sehr früh um meine Erziehung gekümmert. Nun blieb mir nichts anderes übrig, als mich an den neuen Möbeln zu reiben. Kisten um Kisten, waren in der neuen Wohnung verteilt. Doch es störte mich nicht. So langsam lernte ich mein neues Zuhause kennen.

Das neue Sofa hatte einen Bettkasten, in dem ich mich verstecken konnte, wenn Meister schlechte Laune hatte. Die Möbel in der Küche waren so angeordnet, dass ich mich auf die oberen Schränke setzen konnte, um Meister beim Kochen zu beobachten.

Am höchsten Punkt meines eigenen neuen Möbelstücks lag ich in meinem flauschigen Körbchen. Hier schlief ich immer in seiner Abwesenheit.

Mein Meister war immer seltener Zuhause. Ich hörte ihn oft draußen auf der Straße mit der Nachbarin sprechen. Er widmete ihr mittlerweile mehr Zeit als mir.  Das ständige Gerede über sie, wenn er Zuhause war. Es störte mich unglaublich. Und dann war da noch dieser Gestank der beiden Missgeburten, der ihm ständig und immer wieder an der Kleidung klebte. Jedes Mal, wenn er nach Hause kam, musste ich mir das Würgen verkneifen. Ich hatte die beiden Kater gesehen. Hochnäsig wie sie von da oben auf mich herunter starrten, als gäbe es kein anderes Programm.

Ich hasste sie mit allem, was mir zur Verfügung stand. Ich hasste es, dass er sie anfasste. Ich hasste es, dass er bei ihnen war, wenn er nicht daheim bei mir war, wo er hingehörte. Und am meisten hasste ich den Geruch seines Wohlbefindens, wenn er wieder zurückkam. Diese Zufriedenheit die er ausstrahlte. Ich wollte der Grund für sein Lächeln sein, stattdessen verbringt er seine Zeit lieber bei ihnen. Dieses Gefühl macht mich rasend.

Er vernachlässigte mich, aber ich machte ihm keinen Vorwurf. Es war die Schuld dieser Schlampe und ihren beiden Teppiche. Sie lenkte ihn ab. Sie nahmen ihn mir weg. Und ich, der eingesperrt in der kleinen Wohnung saß, konnte nichts dagegen tun. Sollte sie jemals in meine Nähe kommen, würde ich sie verjagen. Die Gedanken an Rache ließen mich nachts besser schlafen. So träumte ich von Gelegenheiten ihr in das Gesicht zu beißen und den Körper mit tiefen Kratzern zu verstümmeln. Es waren gute Träume. Und auch wenn es nur Träume waren, hätte ich alles für so eine Gelegenheit gegeben. Und diese Gelegenheit kam.

 

Es ergab sich eher zufällig. Ich weiß nicht, wie es genau dazu gekommen war, doch eines Tages hörte ich meinen Meister auf dem Gang mit der Frau von gegenüber sprechen. Ihr Lachen hallte durch die Tür und ließ mich vor Ekel erschaudern.

“Möchtest du mit reinkommen? Ich könnte dir Saturn vorstellen.” hörte ich meinen Meister sagen. Ich erstarrte und spitzte die Ohren. „Das würde mich sehr freuen.“ Das Klimpern des Schlüsselbundes ließ mich aus meiner Starre erwachen. Schnell sprang ich den Kratzbaum hoch und setzte mich abwartend, den Blick auf die Wohnungstür gerichtet, in mein Körbchen.
 Würde er es wirklich wagen, dieses Weib mit in unser Reich zu bringen? Das hatte er noch nie mit potenzieller Beute gemacht. Oder nein, das war gelogen. Er hatte tatsächlich hin und wieder eine Frau mitgebracht. Es war einfach was komplett anderes im Gegensatz zu der Jagd. Zu sehen, wie sie sich in Sicherheit wiegten. Wie sie gemeinsam am Tisch saßen, unwissend, dass die Beute gerade die Reste der alten Beute verspeist. Es war ein Vergnügen gewesen diesem Schauspiel beizuwohnen, bis die Stimmung kippte und Meister endlich das Tier in ihm zeigte. 

 

Würde es endlich so weit sein? Hat dieses Vorspiel endlich ein Ende? Was für eine Genugtuung wäre es ihr Fleisch zu essen. Am besten war der Gedanke an diese zwei Missgeburten, die ohne sie kläglich verhungern würden. Ich konnte den elendigen Dosenfraß nicht mehr ertragen, den er mir seit unserem Umzug vorsetzte. Die Pampe schmeckte fad und zerkocht. Das Ganze hatte eine schleimige Konsistenz und erst dieser Gestank!

 

Ich saß still auf meinem Kratzbaum. Versuchte mich Gleichgültig zu geben, indem ich meinen Schwanz ruhig und gelassen hin und her schwenken ließ. „Du musst Saturn sein. Was für ein hübscher Kater du bist.“ Sie steuerte direkt auf mich zu. Am Kratzbaum angekommen, streckte sie ihre Hand nach mir aus. Sie brachte den unbeschreiblichen Gestank ihrer Katzen mit sich. Ich schaffte es gerade noch mir das Blecken meiner Zähne zu verkneifen, als mein Blick, den meines Meisters traf. Mein Zorn loderte und brannte in meinen Gliedern. Mahnend bedachte der Meister mich mit seiner Körpersprache. Wenn ich mich nicht von ihr streicheln lassen würde, gäbe es sicher Ärger. Ich liebte meinen Meister und verärgerte ihn niemals absichtlich. Ich senkte den Kopf und ließ mich von dieser dürren, fast schon knochigen Gestalt anfassen. Wie sollten wir von ihr nur satt werden? Mir blieb mein Fauchen in der Kehle stecken. Wie gern hätte ich ihr gezeigt, dass sie mich nicht anfassen soll. Es ekelte mich an. Ich konnte sie deutlich riechen. Die Anderen. Die Viecher, von denen mein Meister gesprochen hatte. Sie stanken. „Wir sollten die drei miteinander spielen lassen. Es würde ihm sicher guttun, nicht so allein zu sein.” Ich blickte auf. Sie nahm ihre Hand runter und sah in seine Richtung.

Ich konnte es in meines Meisters Augen sehen. Er dachte darüber nach. Und mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde mir klar, dass ich mich seinem Wunsch werde beugen müssen.

 

 

 

“Das gefällt mir gar nicht,” zischte Pompeji. Er beobachtete die Situation im Fenster gegenüber. Warum war Mama bei ihm in der Wohnung.  „Was ist denn?“  Cäsar kam ins Zimmer geschlendert, hüpfte auf die Fensterbank und sah in die Richtung, in die sein Bruder starrte. “Er ist kein guter Mensch. Ich habe es einfach im Gefühl.”

Cäsar runzelte die Stirn. “Ich möchte jetzt nicht das Gegenteil behaupten, doch was lässt dich glauben, dass er kein guter Mensch ist? Ich meine, er war bisher mehr als höflich gewesen,” warf Cäsar in den Raum und musterte seinen Genossen fragend.

“Erinnerst du dich noch an diesen Typen,“ entgegnete Pompeji, „den sie für Monate angeschleppt hatte?”

“Welchen von denen meinst du?“ Es war nicht selten gewesen, dass Mama jemanden mit nachhause brachte. “Der, der immer nach Knoblauch gestunken hat,” half Pompeji nach.

“Ugh, bei allem, was heilig ist, sprich nicht von ihm. Das war vielleicht ein widerlicher Geselle. Er stank nicht nur nach Knoblauch. Man konnte seine Eier zehn Meter gegen den Wind riechen. Ich hatte fast den Eindruck, er würde sich nur waschen, wenn er bei Mama war.“ Cäsar rümpfte die Nase.  „Vermutlich, um das Wasser zu sparen;” stöhnte Pompeji und schauderte.

“ Aber Ja, davon abgesehen, dass er wohl keine Ahnung von guter Hygiene hatte, erinnerst du dich noch an das Gebrüll? Wie zornig er wurde, wenn Mama nicht genau das tat, was er von ihr wollte?” sprach Pompeji weiter.

Cäsar brummte zustimmend, wobei seine Ohren leicht zuckten. “Er hatte diese merkwürdige Aura. Gefährlich”

Pompeji nickte und kniff die Augen leicht zusammen. “Als dieser Typ hier zum Tee kam, hatte ich genau dasselbe Gefühl wie beim Knoblauchmann.” Cäsar sah seinen Bruder beunruhigt an. “Bist du dir sicher?” Er nickte und legte sich seufzend hin, sah nachdenklich nach draußen und fixierte dann wieder das Fenster des Nachbarn.

“Was sollen wir tun, wenn etwas passiert?” fragte Pompeji nach einer Weile. “Die Frage ist eher, was können wir tun.“ Erwiderte Cäsar. Bestürzt sahen sie dabei zu, wie Mama dem fremden Kater die Hand hinhielt. „Seien wir ehrlich. Wir haben keine Möglichkeit, die Wohnung zu verlassen. Die Nachbarn reagieren nicht auf unser Mauzen. Wenn Mama etwas passieren sollte, würden wir hier verhungern.“ Pompeji seufzte. „Ich glaube ich würde dich erwürgen und dann fressen.” Erschrocken sah Pompeji seinen Bruder an. „Das würdest du nicht tun.”

“Oh doch, auf alle Fälle,” schmunzelte Cäsar und ließ sich auf den Rücken fallen, streckte die Pfoten aus und stupste seinen Bruder verspielt an. Dieser sah ihn nur zornig an.

„Komm mal wieder runter, wir wissen beiden, dass das niemals passieren würde;” versuchte Cäsar einzulenken und schloss seufzend die Augen.

 

Nach einer Weile kam Mama wieder zurück und kicherte leise, als sie die beiden Kater auf der Fensterbank beim Kuscheln sah. “Ihr zwei seid so süß miteinander,” murmelte sie und kraulte ihre Bäuche. “Ich komme gerade von drüben, ich habe Saturn kennengelernt. Er ist ein sehr netter Kater. Etwas Scheu würde ich meinen. Schien mir so, als ließe er sich nicht gern streicheln.” erzählte sie und wandte sich der Küche zu. “Kommt Jungs, es gibt etwas zu fressen!”

Das ließen sich die beiden nicht zweimal sagen. Wie zwei Blitze sprangen sie von ihrem Platz und rannten an Mama vorbei in die Küche zu ihren Näpfen, um sich auf Position zu begeben.

“Ich glaube, wir sollten Saturn einmal gemeinsam besuchen.” Pompeji und Cäsar tauschten vielsagende Blicke aus. Sie konnten seinen Geruch immer noch riechen. Als wäre er schon halb am Verwesen. Mama sollte sich dringen die Hände waschen. Oder am besten direkt zum Arzt gehen und sich impfen lassen. Sie verteilte Vitamine über das Futter und stellte die Näpfe auf ihren üblichen Platz. “Ihr würdet euch sicher gut verstehen. Saturn lebt schon sein ganzes Leben allein.” Bei den Worten sahen sich Cäsar und Pompeji nur ungläubig an und machten sich langsam über das Futter her.

“Er muss unglaublich einsam sein. Den ganzen Tag allein, während sein Herrchen auf der Arbeit ist. Was haltet ihr davon, wenn wir ihn einladen, bei uns zu bleiben, während er weg ist?” sprach sie weiter und die beiden Kater hörten auf zu fressen. Soll das ein Scherz sein? Sie konnten immer noch den bitteren Eigengeruch der Nachbarkatze riechen. Eine Mischung aus faulen Eiern und etwas anderem, dass sie so noch nicht erkannten. War es Krankheit? Und jetzt will Mama ihn auch noch in unser Heim lassen?  “Ich bin mir sicher, dass ihr Spaß haben werdet;” beschloss Mama, stand auf und schlurfte ins Wohnzimmer, wo sie den Fernseher anmachte. „Wollen wir jetzt nochmal darüber reden, was wir tun können?“ zischte Pompeji in Cäsars Richtung.

“Sollte dieses Mistvieh auch nur eine Tatze in unsere Wohnung bewegen, beiße ich ihm die Kehle durch.“ Überrascht sah Cäsar zu seinem Bruder. So feindselig hatte er ihn noch nie erlebt.